Kommunikation im Katastrophenfall: „Wir sind einfach nicht genug vorbereitet“

Im Falle einer Flutwelle müssten die Touristen auf der Aussichtsterrasse am Rheinwasserfall gewarnt werden. Foto: Pixabay.

In Magdeburg kann man Sicherheit und Gefahrenabwehr studieren. Getragen werden Bachelor- und Master-Studiengang von der Hochschule Magdeburg-Stendal, der Otto-von-Guericke-Universität und dem Institut für Brand- und Katastrophenschutz in Heyrothsberge. Zu den Inhalten gehört selbstverständlich der Katastrophenschutz inklusive der Warnungen vor Schäden, die der Bevölkerung drohen. Ein Gespräch mit Prof. Dr.-Ing. Stefanie Schubert-Polzin, die Katastrophenschutz lehrt, über Katastrophenwarnsysteme und die Flutkatastrophe an der Ahr.

Über die Warnsysteme des BBK wurden im Zeitraum vom 13.07.2021 00:00 Uhr bis zum 17.07.21 14:00 Uhr 143 Warnmeldungen zur Unwetterlage verschickt, in Richtung Medien und zur Warn-App NINA. Diese sind bei den angeschlossenen Warnmultiplikatoren angekommen. (Quelle: Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe)

Hat das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) im Fall der Flutkatastrophe ausreichend informiert?

Ich glaube schon, aber man hat nicht bis zum Ende gedacht. Wir informieren über die Handynetze. Wenn man also über das Netz ganz viele Menschen gleichzeitig erreichen will, brechen die Handynetze zusammen, ähnlich wie an Silvester um Mitternacht. Das ist ein Grund, weshalb viele Menschen die Warnmeldung erst etliche Stunden später erhielten.

Genügt unser Katastrophenwarnsystem den tatsächlichen Anforderungen und ist die Bevölkerung tatsächlich in der Lage, auf eine solche Warnung hin rational zu reagieren?

Wir haben in Deutschland den Katastrophenschutz in den letzten 20 Jahren vernachlässigt. Die Risikokommunikation funktioniert nicht. Dadurch fehlt das Vertrauensverhältnis der Bevölkerung in diejenigen, die diese Warnmeldung herausgeben. Niemand weiß genau, was er beim Eintreten einer solchen Nachricht in einer Notsituation tun soll. Beim bundesweiten Warntag 2020 hat man flächendeckend das Alarmierungssystem getestet. Der Versuch ist gescheitert, weil diese Warnung an vielen Orten nicht funktioniert hat und ausgeblieben ist. Ich frage gern: Es gibt eine Warnung, und was dann? Wenn beispielsweise die Meldung herausgeht: Verlassen Sie Ihre Wohnung! Wo sollen sie dann hingehen? Niemand hat eine Anlaufstelle. Die Menschen sind unsicher. Was ist mit denen, die nicht mehr selbst in der Lage sind, ihre Wohnung zu verlassen? Was ist mit Familienangehörigen, die ein besonderes Schutzbedürfnis haben, wie Alte, Kranke oder Kinder? Was macht man, wenn eine solche Situation nicht nachts oder abends stattfindet, sondern zu den Zeiten, zu denen wir beruflich tätig sind? Wenn die Kinder im Kindergarten oder in der Schule sind? Wenn man als Mutter eine solche Nachricht in einem Ernstfall erhält, würden alle Mütter losfahren und ihre Kinder abholen. Wenn aber jeder zur gleichen Zeit losfährt, zum Beispiel in Richtung eines Deichbruches, löst man mit dieser Meldung genau das Verhalten bei Menschen aus, dass man gar nicht erreichen will. Wir sind einfach nicht genug vorbereitet.

Muss die Bundesregierung die Verantwortung dafür übernehmen, dass sie sich nicht in ausreichendem Maße über das Eintreten der Katastrophe informiert hat?

Bestimmte Frühwarnsysteme, wie beispielsweise Copernicus, warnen schon weit vor den Starkregenereignissen. Man war informiert und man hat sicherlich auch die richtigen Wege beschritten, um diese Warnung herauszugeben. Aber wir haben teilweise einfach zu lange Meldeketten, die auch nicht genug eingeübt werden. Immer, wenn ich erwarte, dass etwas reibungslos funktioniert, muss ich dies üben. Wie in der Presse mitgeteilt wurde, wurden einige Informationen, die über Radio und Fernsehen hätten verbreitet werden sollen, nicht gesendet. Da fragt man sich natürlich: Warum war das so? Das hat sicherlich damit zu tun, dass es das jahrelang und jahrzehntelang nicht gab. Vielleicht ging es auch um die Frage von Zuständigkeiten. Letztendlich wird man dieses Problem nur lösen, wenn man interdisziplinär und ganzheitlich diese Fragestellung aufgreift. Also sollte man nicht nur die Frage betrachten: Was muss ich tun, damit die Bevölkerung die Nachricht auch erhält? Sondern auch: Was muss ich tun, damit ich die Bevölkerung warnen kann und damit die Bevölkerung weiß, was sie dann tun muss? Wo bekommen sie Informationen her? Wer stellt diese Informationen zur Verfügung? Es geht sehr viel um Vorplanung und um Abläufe, die man üben muss. Dabei geht es nicht nur um einen Verantwortlichen aus einer Disziplin. Es müssen alle Disziplinen zusammenarbeiten. Sowohl der Bereich der Gefahrenabwehr als auch der Verwaltungsbereich, der dafür zuständig ist, dass die Warnung bei den Bürgern ankommt.

Gibt es in Deutschland eine Art Verdrängungsmechanismus, das heißt werden eventuelle Schadensereignisse weitestgehend ausgeblendet?

Der ausschlaggebende Punkt ist, dass man im Normalfall nicht gerne über Katastrophen spricht. Wir reden hier von Ereignissen, die Angst machen. Wir reden nicht gerne über Deichbrüche, obwohl später aufgrund dessen ganze Ortschaften unter Wasser stehen könnten. Wir sprechen nicht gerne über Schäden durch Hochwasserereignisse. Wir sprechen nicht gerne darüber, was bei einem langanhaltenden, flächendeckenden Stromausfall passiert. Wann hört man schon einmal von solchen Katastrophen, wie der Pandemie, wo große Teile des öffentlichen Lebens lahmgelegt sind? Wir haben in Deutschland keine Risikokommunikation. Die Politik hat viele Jahre vor den Bedürfnissen des Katastrophenschutzes die Augen verschlossen. Dafür gibt es jetzt die Quittung.

Haben die jeweiligen Kommunen alle notwendigen Maßnahmen ergriffen, um die Bevölkerung zu schützen?

Nein. Das hätte man vorher besser planen müssen.

Wie kann sich Deutschland besser auf Naturkatastrophen wie Überschwemmungen vorbereiten?

Indem wir zum einen Vorplanungen leisten, aus diesen Vorplanungen Maßnahmen ableiten und die Maßnahmen dann auch tatsächlich in den Kommunen umsetzen. Das können bauliche Maßnahmen sein, wie zum Beispiel ein Deichbau, aber auch organisatorische Einsätze, wie Einsatzpläne für die Feuerwehren und Rettungsdienste. Auch Forschungsansätze, wie man ein solches Naturereignis vielleicht besser vorhersagen kann, wären eine Möglichkeit. Man sieht ganz klar, dass das Auftreten solcher Naturereignisse zunimmt. Wir haben viel größere Schäden, als es vor 20 oder 30 Jahren noch der Fall war. Das hat sehr viel mit dem Klimawandel zu tun. Wir leben heute ganz anders. All diese Umwandlungsprozesse in der Umwelt und unser Lebensstandard führen dazu, dass wir höhere und deutlich mehr Schäden haben.

Benötigt die gesamte Bevölkerung eine Warn-App auf dem Handy? Wäre diese überhaupt ausreichend?

Die Warn-App kann ein Warnmittel sein, sollte aber nicht das einzige bleiben. Wir haben Schwierigkeiten über diese Warn-App zu warnen beziehungsweise die Informationen zu erhalten. Nämlich dann, wenn zum Beispiel das Stromnetz zum Erliegen kommt. All diejenigen, die man über die Warn-App erreichen will, die aber kein aufgeladenes Handy mehr haben, erreicht man eben nicht. Bestimmte Bevölkerungsgruppen können diese Nachrichten gar nicht empfangen, wie ältere Menschen, die gar kein Smartphone nutzen. Das Sirenensystem wäre eine gute Alternative. Wir müssen ja auch an die Regionen denken, die keinen Handyempfang haben. Es gibt die Möglichkeit unterschiedliche Warntöne zu spielen, wie das An- und Abschwellen der Sirenen. Zudem kann man an zentralen Punkten, wie an einem Dorfgemeinschaftshaus, dem Kindergarten oder der Schule, Informationen für die Bevölkerung anhängen. Eine Anzeigetafel, die keinen Strom benötigt oder ein Papieraushang. Man muss den Menschen die Möglichkeit bieten, Hilfe anzufragen.

Sie arbeiten an einem passenden Projekt, worum geht es?

Unser Projekt beschäftigt sich mit der Krisenkommunikation im Landkreis Meißen und wird gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung. Beteiligt an unserem Forschungsprojekt „Krisenkommunikation im Landkreis Meißen“ sind die Hochschule Magdeburg-Stendal, der Landkreis Meißen als Projektkoordinator sowie assoziierte Partner. Zu diesen gehören zum Beispiel die KomRe AG, die TU Dresden oder der Landesfeuerwehrverband Sachsen e.V. Tatsächlich beschäftigen wir uns in unserem Projekt mit den hier gestellten Fragen. Eine dieser großen Fragen ist: Welchen Informationsbedarf hat die Bevölkerung und wie kann ich den Informationsbedarf decken? Setze ich solche zentralen Punkte, an denen es die Möglichkeit zum Informieren gibt und man nicht nur auf Radio und Fernsehen angewiesen ist? Es gibt Menschen, die nicht mehr so mobil unterwegs sind. Wie kommt die Information zu diesen? Was mache ich mit Menschen, die beispielsweise Sprachbarrieren haben? Diese haben Interessenvertretungen. Im Landkreis Meißen sind diese Vertretungen als assoziierte Partner im Projekt vertreten, um am Ende auch die Lösungsmöglichkeiten, die wir finden, mit ihnen diskutieren zu können. In der zweiten Förderphase möchten wir dies gerne praktisch in einem Test durchführen.

Das Projekt läuft bis November 2022, weitere Informationen sind ab September unter der projekteigenen Homepage krisenkommunikation-lk-mei.h2.de verfügbar.

Die Fragen stellte Tanja de Wall.

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