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Fühlen, begreifen, lernen
Greifen wir mit unseren Händen einen Gegenstand, spüren wir sein Gewicht, seine Temperatur und Beschaffenheit. Im Alltag spielt die Haptik für den Menschen eine große Rolle. In Lernkontexten nimmt der Stellenwert haptischer Wahrnehmung mit zunehmendem Alter jedoch ab, die Informationsvermittlung beschränkt sich weitgehend auf das Sehen und Hören. Inwiefern die Haptik beim Umgang mit Lernmaterialien in realen und virtuellen Umgebungen lernfördernd sein kann, wird Michael Montag in seiner Doktorarbeit untersuchen.
Text: Carolin Maier
Wir sehen, hören, riechen, schmecken und ertasten tagtäglich unsere Umwelt. Wir alle nehmen sie unterschiedlich wahr. Womit wir sie wahrnehmen, ist allerdings gleich: mit Augen und Ohren, Nase, Mund und Händen. Einem Sinnesorgan schenkt Michael Montag ganz besonders viel Aufmerksamkeit – dem Tastsinn. Was in unserer Kindheit für das Entdecken und Lernen ganz selbstverständlich war, scheinen wir als Erwachsene zu vernachlässigen. Dabei kann es beim Lernen und Verstehen helfen, zu tasten und zu fühlen. Bislang ist der Einfluss haptischer Wahrnehmung beim Lernen für Schüler:innen der Sekundarstufe oder im Studium unzureichend untersucht. Michael Mon- tag möchte das ändern. Der 37-Jährige promoviert in Kürze am Fachbereich Angewandte Humanwissenschaften der Hochschule Magdeburg-Stendal. In seiner Dissertation wird er die Rolle der haptischen Wahrnehmung beim Lernen in realen und vor allem virtuellen Umgebungen erforschen.
Lebenslanges Lernen
Das Thema Lernen begleitet Montag schon lange – nicht nur in Sachen Forschung, sondern auch mit Blick auf seinen Lebenslauf. Bevor Montag als wissenschaftlicher Mitarbeiter an die Hochschule kam, absolvierte er eine Ausbildung zum Fachinformatiker. Es folgten Bachelor- und Masterstudium in Medien und Kommunikation sowie Kinder- und Jugendmedien. Während seiner Anstellung an der Bauhaus-Universität Weimar beschäftigte er sich intensiv mit Lernprozessen und Lernumgebungen. Und weil ‚Irgendwas mit Medien’ schon immer eines seiner Steckenpferde war, stellt die Dissertation die Verbindung beider Interessengebiete her. „Eine Affinität für Technik hatte ich schon immer“, weshalb es für den gebürtigen Thüringer nahelag, das haptische Erleben beim Lernen mit aktuellen Technologien in den virtuellen Raum zu übertragen und zu untersuchen.
„Need For Touch“
Das Bedürfnis, etwas anzufassen, ist ganz individuell. Während so manche Menschen das Produkt der Wahl vor dem Kauf berühren müssen, ist das für andere weniger entscheidend. Beim Lernen gibt es ebenfalls Unterschiede. Montag geht daher der Frage nach, ob individuelle Lernpräferenzen bei der Nutzung realer oder virtueller Modelle eine Rolle spielen. In seinem Forschungsvorhaben nimmt er haptische Lernpräferenzen und deren Bedeutung für Lernen und Motivation im virtuellen Raum genauer in den Blick. Dazu entwickelt der Doktorand einen Fragebogen, über den Pro- banden nach ihrem „Need For Touch“ befragt werden – ihrem Bedürfnis, Dinge beim Lernen anzufassen. „Mit diesen Ergebnissen möchte ich untersuchen, ob jemand mit einem hohen ‚Need For Touch‘ davon profitiert, wenn Modelle beim Lernen eingesetzt werden.“ Montag zieht im weiteren Schritt Modelle wie das des Gehirns heran. In experimentellen Studien können die Testpersonen die plastischen und virtuellen Nachbildungen drehen, einzelne Hirnareale herausnehmen und von allen Seiten betasten und betrachten. Beim virtuellen Modell funktioniert das mittels Virtual Reality Brille. Die eigens dafür entwickelte softwarebasierte Gehirnanwendung zeigt das Modell, das über einen Datenhandschuh auseinandergenommen, berührt und gedreht werden kann. Haptisches Feedback des Datenhandschuhs sorgt für ein realistisches Gefühl beim Greifen und Drehen. Die daraus gewonnenen Interaktionsdaten nutzt Montag, um die individuellen Ausprägungen im „Need For Touch“ zu untersuchen und die Bedeutung des Tastsinns beim Lernen in höheren Alterststufen analysieren und verstehen zu können. Aus den Ergebnissen von Montags Dissertation könnten mögliche Konsequenzen für Ausbildung und Studium abgeleitet werden.
„Never change a running system“
Seit zwei Jahren ist Montag als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Hochschule tätig. Dass er auf dem Campus der beschaulichen Hansestadt Stendal landete, ist Dr. Steffi Zander zu verdanken, Professorin für Allgemeine Psychologie. Die beiden arbeiteten bereits innerhalb verschiedener Forschungs- und Entwicklungsprojekte an der Bauhaus-Universität Weimar zusammen. Nachdem Zander dem Ruf an die Hochschule Magdeburg-Stendal folgte, wechselte Montag ebenfalls. „Ich schätze es sehr, dass sie auch anderen Meinungen offen gegenübersteht und wir eher gleichberechtigt als in einer steilen Hierarchie zusammenarbeiten. In Informatikkreisen heißt es so schön: Never chance a running system.“ Montag wird einer der ersten Doktoranden im hochschulübergreifenden Promotionszentrum Sozial-, Gesundheits- und Wirtschaftswissenschaften sein, das sich durch das neu erworbene Promotionsrecht bilden konnte: „Wir können endlich zeigen, dass wir hochwertige Wissenschaft können. Andernfalls hätte ich Michael Montag zwar inhaltlich betreut, die eigentliche Promotion aber wäre an einer anderen Institution erfolgt. So ist es jetzt für alle gerechter. Die Arbeit, die wir investieren, wird auch uns angerechnet“, erläutert Zander. Seine Promotion wird Montag in etwa drei Jahren beenden. Bis dahin gibt es noch viel zu tun, „der Zeitplan ist eng, aber machbar“, gibt er optimistisch kund.
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