Bloß nicht nur „brav“

1987 beteiligte sich Prof. Dr. habil. Günter Mey an dem Experimentalfilm „Kontakt". Foto: privat

Aus treffpunkt campus Nr. 98, 02/2018

„Psychologie mon amour“ – zu Studienbeginn keineswegs. Nach eigenen Interessen lernen, mit- und vor allem nachdenken und Eigeninitiative zeigen: Erst so wurde für Günter Mey, der als Professor am Stendaler Fachbereich Angewandte Humanwissenschaften lehrt, die Liebe zur Psychologie neu entfacht. Inwieweit ihn dabei auch die Dokumentarfilmarbeit geprägt hat, berichtet er in treffpunkt campus.

Text: Prof. Dr. habil. Günter Mey unter Mitarbeit von Sebastian Berens

Kurz nach meinem Studienbeginn 1984 in Osnabrück habe ich schnell den Spaß an der Psychologie verloren, sie erschien mir seelenlos. Immer wieder wurde uns gesagt, wir sollten vergessen, was wir bislang von der Psychologie wussten, wir seien in der akademischen Psychologie angekommen. Aber meine Unzufriedenheit wusste ich zu „kompensieren“. Zum einen gab es wenig Pflichtseminare und zum anderen keine Anwesenheitslisten. Ich habe daher vor allem Vorlesungen und Kurse besucht, die mich wirklich interessierten.

Schon bald war ich in anderen Studiengängen unterwegs, zum Beispiel in der Literaturwissenschaft, beim Brechtschen Theater oder bei den Medienwissenschaften im Bereich der Filmanalyse. Hier wurde für mich zum Teil psychologischer argumentiert als in der Psychologie. Erwogen habe ich einen Fachwechsel. Mein Verbleiben in der Psychologie habe ich dem Professor zu „verdanken“, der die Einführungsvorlesung angeboten hat und die Studierenden – deren Lethargie er anprangerte – aufforderte, selbst zu denken, aktiv zu werden, eigene Themen zu finden und bloß nicht nur „brav" zu sein. Als ich die Vordiplomarbeit schreiben musste (vergleichbar mit der Bachelor-Thesis heute), habe ich ihn in der Sprechstunde aufgesucht. Er konnte sich zwar nicht an seine Worte erinnern, sagte mir aber seine Unterstützung zu. So entstand meine erste empirische Arbeit: Eine – heute würde ich sagen – ethnografische Studie über eine Punk-WG, die ich neben der schriftlichen Arbeit gemeinsam mit einem Medienwissenschaftler als Dokumentarfilm umgesetzt habe, der auf Filmfestivals gezeigt wurde. Nach dem Vordiplom habe ich einen zweiten Dokumentarfilm gemeinsam mit einem freien Filmemacher erstellt. Diesmal über den „Hyde Park“, eine Osnabrücker Diskothek, die damals Treffpunkt für Punks, Hippies und andere Jugendszenen war und die ich selbst oft besuchte. Der Film wurde auf dem Videofest der Berlinale 1989 gezeigt.

So wie ich begonnen hatte, mit dem Angebot des Psychologie-Studiums unzufrieden zu sein, wurde mir gleichzeitig Osnabrück zu eng. Daher bewarb ich mich für das Hauptstudium an der Freien und der Technischen Universität (TUB) in der noch Mauerstadt Berlin. Auch auf Anraten zweier Professoren, die für mich wirklich Mentoren waren, entschied ich mich für die TUB. Dort angekommen, lernte ich nachträglich, dass ich mit meinen Studien qualitative Forschung betrieben hatte und fand in dem Bereich meine Heimat. Recht bald wurde ich studentischer Mitarbeiter in einem Forschungsinitiativprojekt, ein mit Mitteln der TUB auf Initiative von Studierenden angestoßenes Vorhaben. Drei Jahre lang habe ich zu Jugendarbeitslosigkeit und lokaler Identität in Kreuzberg und Moabit geforscht – und meine Frau kennengelernt, mit der ich bis heute zu qualitativer Forschung arbeite.

Studium – das meinte damals 14 Semester „inoffizielle“ Regelstudienzeit – war für mich immer Eigeninitiative, vor allem ging es mir aber darum, Möglichkeitsräume zu nutzen und diese selbst zu schaffen. Das Motto war wohl: nach Interessen lernen, das aber richtig. Ich habe sehr viel gelesen, allein für das Vordiplom über 10.000 Seiten, noch mehr geforscht und über die Forschungspraxis das Handwerk eines „qualitativen Psychologen“ erlernt. Dass ich an der TUB im Fachgebiet Entwicklungspsychologie erst Konferenzassistent, dann wissenschaftlicher Mitarbeiter und im Anschluss wissenschaftlicher Assistent werden würde, habe ich ebenso wenig erwartet, als ich nach Berlin ging, wie die Tatsache, dass mein biografischer Weg und meine Erfahrungen als Student meine heutige Professorentätigkeit in Stendal so nachhaltig prägen.

Mehr Erinnerungen an die Studienzeit in „Lehrende und ihre Studienanfänge“

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