Irgendwie kein Mainstream

Aus treffpunkt campus Nr. 106, 04/2022

Lange wusste Prof. Dr.-Ing. Gilian Gerke nicht genau, wohin es mit ihrem Leben gehen sollte. Wichtig war ihr immer nur, ihren eigenen Weg zu gehen. Heute ist sie Professorin am Fachbereich Wasser, Umwelt, Bau und Sicherheit an der Hochschule Magdeburg-Stendal. In treffpunkt campus erzählt sie von ihren Entscheidungen und wer ihre Persönlichkeit mit einem Pitbull verglichen hat.

Aus der Heimat rauskommen, was Neues sehen, international arbeiten – das war die einzige Idee, die ich nach meinem Abitur in Hinblick auf meinen beruflichen Werdegang hatte. Ich war auch nie dieses Kind, das schon immer einen konkreten Berufswunsch anpeilte, wie Ärztin oder Astronautin. Sehr früh wurde nur deutlich, dass es etwas sein sollte, mit dem ich mit und für Menschen arbeiten konnte. Da schwebte mir ein FSJ im sozialen Bereich vor. Mein Vater, ein Mann mit hohen Ansprüchen an seine Kinder, wollte aber mehr für mich – so landete ich dann auf einer privaten Schule in Solingen, um eine Ausbildung zur pharmazeutisch-technischen Assistentin zu machen. Als ich dann damals nach Aachen zog, um meinem damaligen Freund in Belgien nahe zu sein, habe ich zunächst in Apotheken gearbeitet, aber wollte ich mein Leben lang Schubladen ziehen? Ein sicherer und wichtiger Job, jedoch wurde ich das Gefühl nicht los, dass es das nicht gewesen sein konnte. Täglich sah ich die Studierenden der RWTH Aachen und da wusste ich es: ich wollte doch noch etwas studieren.

Autodidaktin und Individualistin

Wieder ging es dann ans Ideensammeln. Sozial- oder Geisteswissenschaften passen nicht zu mir, ich war schon immer eher die technisch Orientierte in unserer Familie. War unser Toaster kaputt, habe ich ihn repariert. Irgendetwas mit Ingenieurwesen erschien mir also logisch. Als Sparte wählte ich dann letztendlich die Abfallentsorgung. Ich wollte mit meinem späteren Beruf Spuren in der Gesellschaft hinterlassen, auch Nachhaltigkeit war mir ein wichtiges Anliegen. Mein Vater war mächtig stolz auf mich, so brach ich mit guten Gefühlen auf diesen Weg auf.

Für Frauen war es damals nicht üblich, Ingenieurin zu werden und erst recht nicht etwas, das mit Abfall zu tun hat. Das hätte mir aber egaler nicht sein können. Ich bin bis heute eine Individualistin geblieben, Mainstream gehörte nicht so recht dazu. Im Studium selbst habe ich mir das meiste autodidaktisch beigebracht, anstatt nur nach Regelstudienplan zu gehen. Wenn ich einem Dozent in seinen Vorlesungen so gar nicht folgen konnte, bin ich gegangen und habe zu Hause nachgearbeitet. Das hat mich bis heute in meiner Professur geprägt: Als Dozentin gehört es dazu, sich auf die Studierenden einzulassen. Langweilige, zu theoretische und praxisferne Vorlesungen sind aus meiner Sicht nicht zielführend. Wir sollten auch von unseren Studierenden lernen und ihnen zuhören. Sie sind diejenigen, die bei uns ihre Ziele und Träume mit einem Studium verwirklichen möchten.

Vom Weitermachen und Durchkämpfen

Am meisten hat mich schon immer Recycling interessiert. Der Arbeits- und Gesundheitsschutz kam dann durch meine Diplomarbeit hinzu, die grob gesagt von Arbeitsschutzmaßnahmen handelte. Höhepunkte des Studiums waren definitiv auch tolle Exkursionen, wie beispielsweise in den Bergbau. Zwischendurch mussten dann leider auch Klausuren geschrieben werden: Meine Prüfungsangst ist eine Sache, die mich schon lange begleitet. Doch ich kam durch, auch mit Unterstützung vieler Personen, die an mich geglaubt haben. Da gab es „meine Jungs“, meine Mitschüler, die mich als einziges Mädchen in unserem Leistungskurs beschützt haben, meine Eltern, ein Projektpartner, der bis heute ein Mentor für mich ist und mich stets mit konstruktiver Kritik auf meinem Weg begleitet oder mein Professor und späterer Doktorvater, der immer wieder meinen Kampfgeist und Ehrgeiz anspornte. Einmal meinte er zu mir: „Frau Gerke, der einzige Unterschied zwischen Ihnen und einem Pitbull: der Pitbull weiß, wann er loslassen muss.“ So habe ich stets an meinen Zielen festgehalten, mich durchgekämpft.

Spuren hinterlassen

Zu meiner jetzigen Professur an der Hochschule kam ich dann wirklich sehr spontan. Ein Bekannter machte mich auf die freie Stelle aufmerksam – ich erinnere mich noch gut daran, da ich an einem Samstag meinen 40. Geburtstag feierte und am Sonntag an der Bewerbung saß. Und siehe da, jetzt bin ich hier. Letztlich bin ich überaus zufrieden, wie alles gekommen ist – genau das war und ist mein Weg. Das generalistische Arbeiten, die Vielfältigkeit, die Internationalität und die Arbeit mit jungen Menschen finde ich einfach toll. Mit meinen vagen Zielen nach meinem Abitur hätte ich mir gar nicht erträumen können, wo ich heute stehe. Auch wenn ich manchmal gerne eine Familie gegründet hätte – jetzt habe ich viele Studierende, um die ich mich kümmere. Auch bei ihnen hoffe ich, dass ich Spuren für ihr Leben hinterlassen und sie auf ihrem Weg unterstützen kann.

Mehr Erinnerungen an die Studienzeit in „Lehrende und ihre Studienanfänge“

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