Ist es Jesus oder Mord?

Stendal wurde für Cara Vollenschier zur neuen Heimat. „Dass ich mich hier so wohlfühle, liegt zum einen daran, dass ich mit meinem Studium sehr zufrieden bin, und zum anderen, dass ich mit dem Theater der Altmark eine zweite Familie gefunden habe.“ Später möchte die gebürtige Brandenburgerin in der Psychoonkologie arbeiten. Foto: Kerstin Jana Kater
Im Rockmusical „Rent“ spielte die 22-Jährige 2017 die lesbische Anwältin Joanne Jefferson. Für das aktuelle Stück „Whistle down the wind“ ist sie ab 21. Juni 2019 in der Rolle einer depressiven Mutter auf der Bühne zu sehen. Foto: Kerstin Jana Kater

23 Jahre nach seiner Uraufführung ist es dem Theater der Altmark gelungen, Andrew Lloyd Webbers Musical „Whistle down the wind“ nach Stendal zu holen. Zwischen Glauben, Mord und der Suche nach der eigenen Identität findet sich auch Rehabilitationspsychologie-Studentin Cara Vollenschier in dem Stück wieder. Gemeinsam mit Theaterpädagoge Robert Grzywotz gibt sie einen Einblick in die Produktion, die am 21. Juni Premiere feiert.

Text: Katharina Remiorz

Cara, Sie spielten bereits Figuren wie die Hauptrolle der Tracy Turnblad in „Hairspray“ oder die lesbische Anwältin Joanne Jefferson in „Rent“. Wie sind Sie zum Theater, speziell zum Musical, gekommen?

CARA: Ich hatte das Glück, dass ich durch meine Mutter und meine Oma sehr früh ans Theater herangeführt wurde. Seit der fünften Klasse war ich im Schulchor aktiv und lernte dadurch den Komponisten Nils Fölster kennen. 2011 spielte ich in seinem Musical „Eine schrecklich echte Familie – Family Affairs“ die Rolle eines 150-jährigen Hausgeistes. Danach habe ich einige Jahre für ihn gespielt, u. a. für eine Musicalgala, die aus mehreren Stücken bestand. Um mich auf mein Abi konzentrieren zu können, zog ich mich jedoch aus dem Theater zurück und wurde erst 2017 zufällig über einen Bekannten aus meiner Heimat Rathenow Teil des Laienensembles am Theater der Altmark.

Was fühlen Sie, wenn Sie auf der Bühne stehen und sich in eine völlig andere Person versetzen?

CARA: Es ist so berauschend: Freude, Trauer, Erleichterung – alles gleichzeitig und einfach unbeschreiblich! Das Schöne ist, dass Theatermenschen Freigeister sind und man dadurch sehr schnell zu einer Familie wird. Durch die Proben verbringt man viel Zeit miteinander, redet, streitet, teilt so viele schöne Momente und wächst einfach zusammen. Das Theater ist unsere gemeinsame Leidenschaft und, egal wie alt man ist, wo man herkommt oder welches Geschlecht man hat, wir gehören einfach zusammen.

Ab Juni zeigen Sie „Whistle down the wind“ von Andrew Lloyd Webber. Worum geht es in dem Stück?

ROBERT: Für mich geht es ganz klar um die Sehnsucht nach einem lebenswerten Leben. Das Stück spielt in einer tiefreligiösen Kleinstadt. Aus dem nahe gelegenen Gefängnis ist ein Mörder ausgebrochen, der von den Erwachsenen gesucht wird. Wenig später finden Kinder in einer Scheune einen sehr heruntergekommenen und kranken Mann. Sie halten ihn für den wiederauferstandenen Jesus Christus und schützen ihn vor den Erwachsenen. Es gibt also diverse Konflikte, auch innerhalb der Generationen, die es zu überbrücken gilt. Das Stück spitzt sich im Verlauf stark zu und endet sehr dramatisch, lässt aber auch einige Fragen offen. Ich bin sehr glücklich, dass wir als Laienensemble überhaupt die Rechte für dieses Stück erhalten haben. Ich habe es während des Studiums 1998 mehrmals in London gesehen und wollte es seitdem immer einmal selbst umsetzen. Das Besondere an dieser Inszenierung ist, dass wir nicht nur den Jugendclub Musical und den Theaterchor auf der Bühne haben, sondern auch das Sinn-Phonie-Orchester der Stendaler Musik- und Kunstschule sowie einen professionellen Schauspieler, den wir für die Rolle des Jesus Christus‘ verpflichten konnten.

Etwa 60 Menschen – im Alter von zehn bis 30 Jahren – wirken an der Inszenierung mit. Wie vermitteln Sie gerade den Jüngeren ein solch tiefsinniges Thema?

ROBERT: Basierend auf der Textbuchgrundlage nehmen wir uns anfangs viel Zeit, um jede einzelne Szene zu besprechen. Ich finde es ganz wichtig, dass alle verstehen, was hinter den einzelnen Worten steckt, und reflektieren, ob sie sich selbst in der Figur in irgendeiner Weise wiederfinden. Es ist also eine Suche, auf die man sich gemeinsam begibt, wenn man ein Stück erarbeitet.

CARA: Robert ist sehr bedacht darauf, dass wir immer etwas von uns, etwas Echtes und Persönliches in unsere Rolle einbringen. Wir machen sehr viele theaterpädagogische Übungen für die Gruppendynamik, aber auch, um in uns selbst zu suchen. Da kommen Geschichten und Emotionen hoch, über die man sonst gar nicht spricht. Dadurch lernt man sich selbst noch einmal viel besser kennen.

Cara, welche Rolle hat Sie bisher besonders gefordert?

CARA: Tatsächlich die Jetzige. Ich spiele eine Mutter, die streng gläubig, verletzlich und depressiv ist. Weil ich selbst damit keine persönlichen Erfahrungen habe, vor allem mit dem christlichen Glauben, fällt es mir schwer, mich damit zu identifizieren. Ich möchte, dass das Publikum genau das spürt, was ich in meiner Rolle spüre. Bevor ich die Mutter spiele, spreche ich deshalb im Kopf ein Mantra, um mich in sie hineinversetzen zu können. Das funktioniert überraschend gut. Ich wachse also mit meiner Rolle und wenn wir dann mit Kostüm und Make-up auf der Bühne stehen, bin ich voll und ganz sie.

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