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Viola Niehoff
Feuer
„Du bist gefeuert!”, schlug es mir entgegen, als ich die Tür öffnete. Daniel stand wutentbrannt an seinem Schreibtisch, sein rotes und verschwitztes Gesicht blickte mir mit verzerrter Miene entgegen. Seine Hände waren zu Fäusten geballt. Das war es also. Statt einen konstruktiven Prozess anzustoßen, hatte Daniel meine Mail von letzter Nacht zum Anlass genommen, das Feuer auf mich zu eröffnen. Alles, was er anscheinend seit Wochen zurückgehalten hatte, schoss aus ihm heraus, wie heiße Lava aus einem Vulkan. „Was glaubst Du eigentlich, wer Du bist? Willst Du hier alles in Schutt und Asche legen?“, brüllte Daniel und kam auf mich zu. Mein Körper begann sich zu verkrampfen.
Das war es also mit meinem Traumjob. Damals, als ich hier anfing, da nannte ich diese Stelle so. Es war Frühling, überall roch es gut. Ich war neu in der Stadt, bereit für einen Neuanfang. Ich wollte so viel, war Feuer und Flamme für jede Herausforderung.
„Wenn hier einer alles in Schutt und Asche legt, dann bist das jawohl Du!“, brüllte ich zurück. „Ich hole hier seit Wochen die Kastanien für Dich aus‘m Feuer! Ohne mich wäre das Ding schon längst in die Luft geflogen!“ Mein Hals brannte vom Schreien, mein Gesicht glühte und mein Körper begann sich steif anzufühlen.
Letzte Nacht, diese Mail, ich hatte all meinen Mut zusammengekratzt. Es gab ihn noch, diesen letzten Funken Hoffnung, dass sich hier doch noch etwas ändern könnte. Ich hatte gebrannt für diesen Job, mir die Nächte um die Ohren geschlagen. Jetzt hatte ich nur noch das Gefühl, verheizt worden zu sein, wie schon andere vor mir. Ich wollte es nicht glauben, damals, als Miriam mich anrief und mich warnte. Sie war mit Burn-Out in der Reha. Kurz nachdem ich die Stelle angetreten hatte, tauchte sie nicht mehr auf. Ich kannte sie kaum. Vielleicht hätte sie besser auf ihre Grenzen achten sollen? Oder vielleicht war sie auch einfach überfordert. Ich aber hatte Feuer gefangen für diese Arbeit, ich würde schon nicht ausbrennen.
Damals freute sich Daniel über meinen Eifer, meine Neugier, meine Motivation. „Du hast ja echt Feuer unterm Hintern, mit deiner Energie kannst Du hier richtig was reißen!“, sagte er strahlend an dem Abend meines ersten Arbeitstages. Er hatte mich zu sich ins Büro gerufen. Zwei Schnapsgläser standen auf dem Tisch. Er holte eine Flasche aus der untersten Schublade seines Schreibtisches und goss uns ein. „Selbst gebrannt“, sagte er grinsend, als ich fragend auf den braun-grauen Inhalt der Flasche blickte.
Die ersten Wochen vergingen wie im Flug, die Arbeit fiel mir leicht. Das Team war großartig, ich liebte diese leidenschaftlichen, hitzigen Diskussionen, alle waren mit Feuereifer bei der Sache. Ich machte Überstunden und schlief nicht viel, aber das fiel mir erst viel später auf.
Das dritte Projekt, an dem ich mitarbeitete, entpuppte sich als problematisch. Kurz nach Projektbeginn suchte ich zusammen mit Caro das Gespräch mit Daniel. „Wie hast Du Dir das vorgestellt? Ich denke wir sind viel zu wenig Leute, um das in dieser kurzen Zeit schaffen zu können“, sagte ich zu ihm. „Denken tue immer noch ich hier“, entgegnete Daniel lächelnd. Doch das Lächeln kam mir aufgesetzt vor, ich konnte seinen Ärger in mir vibrieren spüren. „Du hast doch bisher keine Herausforderung gescheut. Nicht rumjammern, Gas geben“, fuhr er ungeduldig fort und schob uns aus seinem Büro.
Es folgten Wochen mit noch weniger Schlaf, mehr Überstunden, nächtlichen Heulattacken und weiteren erfolglosen Gesprächsversuchen mit Daniel. Wo war ich da hineingeraten? Ich hatte das Gefühl, auf einem Pulverfass zu sitzen. Alle arbeiteten bis zum Anschlag, es gab keine lockeren Gespräche mehr zwischendurch. In den Teamsitzungen mussten wir uns anhören, welche neuen Kunden Daniel wieder an Land gezogen hatte. „Immer ein paar Eisen mehr im Feuer haben, das erhöht die Umsätze“, pflegte er dies selbstgefällig zu kommentieren.
Müdigkeit. Ich war mit einer brennenden Zigarette eingeschlafen und hatte mich an der Glut verbrannt. Die Wunde hatte sich entzündet und wollte einfach nicht verheilen. „Sie müssen mal etwas vom Gas gehen“, sagte meine Ärztin. „Ihr Immunsystem arbeitet gerade anscheinend nur noch auf Sparflamme.“ Schlafen, ich muss schlafen.
„Wir können wahrscheinlich die Deadline nicht halten“, gab ich meinen Projektstand in der nächsten Teamsitzung bekannt. „Außerdem ist Caro seit drei Tagen krankgeschrieben. Es ist unklar, wann sie wieder dabei ist.“ Daniel verzog keine Miene. „Leute, wir haben hier einen Ruf zu verlieren“, sagte er ernst und bestimmt. „Die Deadline wird gehalten. Keine Diskussion. Wem das nicht passt, der kann gerne gehen.“ Betretenes Schweigen. Warum macht hier eigentlich niemand das Maul auf? Aber auch ich sagte nichts mehr, ich wollte nicht weiter Öl ins Feuer gießen. Mein Körper fühlte sich steif an und brannte, meine Wunde pulsierte heiß unter dem Verband. Die Entzündung. Sie breitet sich aus und zerfrisst mein Gewebe. Schwarzes, verbranntes Fleisch. Ich bin so müde.
Am Ende der Sitzung kam Daniel zu mir und schaute mich nachdenklich an. „Du hast irgendwie Dein Feuer verloren, ich hatte mir mehr von Dir erhofft.“ Er roch nach Alkohol. Nach einem eindringlichen Blick drehte er sich bedächtig um und verließ selbstsicheren Schrittes den Raum. Ich hätte mich auf der Stelle übergeben können. Ich warf einen unsicheren Blick in die Runde, aber niemand schaute mich an.
Wieder eine schlaflose Nacht. Daniels Worte hatten sich in mir eingebrannt. Ja, ich hatte mein Feuer verloren. Ich brannte schon lange nicht mehr für diesen Scheißjob. Mein Feuer war einer eitrigen Entzündung gewichen, die sich nicht nur durch meinen Körper, sondern durch diese ganze beschissene Firma fraß, immer wieder neu entfacht durch Daniels Dauerfeuer. Das Projekt würde scheitern, früher oder später.
Ich musste den Schaden begrenzen, dem Kunden Bescheid geben, erzählen, was Sache war, bevor alles in Flammen stünde. Jetzt. Eine Mail. Daniel ins CC, dann muss er sich der Situation stellen und mit mir reden. Ja, senden. Schlafen. Ich muss schlafen.
„Du bist gefeuert!”, schlug es mir entgegen, als ich die Tür öffnete. Daniel stand wutentbrannt an seinem Schreibtisch, sein rotes und verschwitztes Gesicht blickte mir mit verzerrter Miene entgegen. Seine Hände waren zu Fäusten geballt. Das war es also.