Hannah Jäkel

Flur & Leiter

 
Eine
„Wie sie mir auf den Sack gehen!“ Noch am selben Abend wolle sie mir die Leiter zurück vor die Hintertür der Werkstatt stellen. Aber, oh Wunder, es ist nicht geschehen. Nun sollte ich die Lichter anbringen für diese dämliche Feier. Ich hatte schon die Szenen vor Augen. Alle sich innovativ fühlenden Menschen, die gerade an was Krassem arbeiten. Ihre veganen, zuckerfrei ernährten Körper in schrille, äußerst individuelle und mutige Stoffkompositionen gehüllt. Wie sie in kleinen Grüppchen an irgendwelchen Stehtischen oder auf Kissenecken in schmierigem Understatement plaudern würden. „Wie sie mir auf den Sack gehen.“

Eine andere
Ich bin bereit. Der Typ von der Konferenz letzte Woche. Bernhardt, Barndhardt,... keine Ahnung. Aber wir hatten uns nun mal verabredet und veolourslours GmbH muss mich unbedingt mögen. Die Betablocker wirken. Jetzt bin ich bereit.
Ein Kerzenarrangement am Eingang. Bin ich etwa auf einem flauschigen Schmuse-Rendevouz gelandet? Die Mäntel und Jacken an den mintfarbenen Emaille-Haken lassen nicht darauf schließen. Glück gehabt.
Am Ende des Flurs erblicke ich ihn, B. Sein platinfarbenes Seidenjacket legt sich zwischen dem umgebauten Tisch, an dem er lehnte und seiner Pobacke in Falten. Ich bin besorgt, dass das ungeschliffene Holz die feinen Fasern zerstören könnte. Schluss jetzt. Konzentration. Ich muss möglichst beiläufig an ihm vorbeischauen und so tun, als spähte ich selbstbewusst umher um mit ein paar bekannten Augenpaaren verschwörerisch humorvolle Blicke auszutauschen.
Wir treffen uns an diesem Tisch. Eine umgebaute Schulbank aus den 70ern. Man kann noch vage die dunkelgrüne Linoleumbeschichtung erkennen. Das war diese Restaurateurin von nebenan. Ob man mit diesen Craft Arrangements für Partys viel verdient?
Mit Kreide sind rudimentäre Linien aufgezeichnet, die ein Fußballfeld markieren sollen. Gesäumt ist das Konstrukt von einem ehemaligen Rahmen des Hochbeets der Dachterrasse. Da hindurchgezogen 8 Stangen, die über dem Linoleum-Kreidebereich mit Holzklötzen aus dem Turmspiel versehen sind. Geschlechterneutrale Fußballfigürchen also.

Mäßig funktional wie er ist, dient uns der Kicker als Basis für jede Menge unverfängliche Konversationen. Nach zweieinhalb Champagner ist man dann freilich nicht mehr von dieser primitiven Hilfestellung abhängig. Aber man hat einen physischen und geistigen Raum etabliert, in dem man loslegen kann.

Wir spielen den ganzen Abend bis in die Nacht hinein. Wir sprechen über Aufstieg und Abstieg, über Geschlechterverhältnisse, Macht, Erfolg, Charisma und Burnout.
Ich bin endlich ich selbst. Meine gesamte philosophische Tiefe und Genialität nehmen Form an: Was bedeutet überhaupt Erfolg? Als Kind war ich erfolgreich, wenn ich im Spätsommer ganz oben im alten Kirschbaum noch die letzten überreifen Früchte einheimste. Und wir? Wir klettern auf einer prekären Leiter mit brüchigen Stufen hoch. Aber anstatt auf einer Streuobstwiese zu stehen, deren Kirschbäume uns Schutz, reale Motivation und Festhaltemöglichkeiten böten, hecheln wir ins Nichts und wackeln dann verloren auf unseren Bottega Veneta Stiefeletten in der Atmosphäre herum. Dem Himmel so nah.
Am Ende des Abends steht der Name unseres Projekts: „Geistreich Zocken“. Es soll eine Kirschsaftschorle werden mit Mate, Minze, Matscha oder Koffein oder eben irgendwas. Wir sind Jungunternehmer!

Wieder die eine
Wenn ich den Gästen schon keine optimale Lichtatmosphäre installieren konnte, so sollte wenigstens der Rausschmiss eine gelungene Performance werden. Ich schielte abwechselnd in die Ecke, wo die zwei in floraler Seide behangenen Schnösel ihren heutigen Outcome auf dümmlich promillehaltige Weise abfeierten und auf mein Handy.
Punkt 02:00 drückte ich. Das grelle Licht des Baustrahlers durchflutete den Gang und landete direkt auf dem neuen Kirschteam.
Ich drängelte mich zwischen die bleichen, großporigen Koksgesichter und fing an, den Tisch abzubauen. Meinen Tisch!

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